Der Europameister, der aus Thailand kam
von Egon Theiner
Es war einer jener Momente, die in die Geschichte der Fecht-Europameisterschaften eingehen werden. Es war jener Moment, in dem Wiradech Kothny, Nummer 30 der Säbel-Weltrangliste, den amtierenden Weltmeister Luigi Tarantino einer Raubkatze gleich ansprang, den Treffer zum 15:14-Sieg setzte und sich in Bozen (Südtirol) am Donnerstag nachmittag zum kontinentalen Titelträger in dieser Waffe krönte. Ein Moment, der beim aktuellen - aber glücklosen - Branchenführer Tarantino lediglich Kopfschütteln und einige unangebrachte Bemerkungen hervorriefen. Wie beispielsweise: Ich müßte mir eigentlich den nächsten Baum suchen und mich erhängen. Oder: Wenn ich nicht fähig bin, dieses Finale zu gewinnen, dann werde ich wohl nie Europameister. Oder auch: So einfach wie heute wäre ich nie EM-Goldmedaillengewinner geworden.
Unangebrachte Äußerungen eines verschnupften Superstars. Tarantino hatte 4:0 geführt, später 8:5, beim Stand von 13:11 wie der sichere Sieger ausgesehen. Und dann das. Ein 20jähriger Deutscher, amtierender Junioren-Weltmeister, brachte den Star vor dessen Heimpublikum um Gold. Gelassen wollte Kothny gegen den Italiener antreten, änderte nach den ersten Treffern sehr bald seine Taktik, agierte, anstelle zu reagieren, und wurde belohnt mit dem Sieg, erfochten im Stile einer Mungo, einer von jenen springenden Raubkatzen, die im asiatischen Raum nach Schlangen jagt.
Kothny heißt bei seinem Verein in Koblenz Mungo, weil er thailän- discher Abstammung ist und den Sprungstil auf der Fechtplanche bis zur Vollendung zelebriert. Sein Vorname Wiradech wurde der leichteren Aussprache wegen von der Mutter seines Adoptivvaters Erik in Willi umgewandelt und bedeutet aber wörtlich übersetzt so- viel wie der Kämpfer. Kaum einmal war ein Name treffender als jener des jungen Deutschen, der sich im Stile eines Routiniers durch die Vorrunde kämpfte, dann mit dem Franzosen Damien Touya die Nummer fünf der Weltrangliste eliminierte, aus lauter Er- furcht vor dem Namen Tarantino erstarrte, um nach verrichteter Ar- beit locker und lässig zu erklären: Ich habe nur mal angeklopft und der absoluten Weltspitze Hallo gesagt. Aus einem kurzen Hallo soll ein ständiges Hier bin ich schon wieder werden. Doch Kothny weiß, daß der Weg dorthin noch weit ist. Ich bin noch jung, durchlebe Höhen und Tiefen, sagt der Säbelfechter, der nach seinem Triumph in der Südtiroler Landeshauptstadt mit seinen Mannschaftsgefährten auf Gold anstieß, beim Italiener zu Abend aß und früh schlafen ging.
Am heutigen Freitag entspannt der gebürtige Thailänder, der im Alter von zweieinhalb Jahren nach Deutschland kam, am Montiggler See (in der Nähe des bekannteren Kalterer Sees). Vergessen sind die Strapazen, die Kothny auf sich genommen hat, um von Havanna nach Bozen zu hetzen, ein Lächeln entlockt ihm der Gedanke an die Nacht vor seinem großen Tag, als er erst um 3:00 Uhr nachts Schlaf finden konnte (und in der Folge verschlief). Der Körper rebellierte, der Geist weniger, und so arbeitete sich der Deutsche von Gefecht zu Gefecht in den Bewerb hinein. Mit Erfolg.
Daß Wiradech in Europa aufwuchs, hat der Kämpfer einer glücklichen Fügung des Schicksals zu verdanken. Denn 1981 unternahm Erik Kothny, sein Adoptivvater, eine Weltreise in die Krisenregionen der Erde, lernte in einem thailändischen Waisenhaus seine zukünftige Frau kennen, brachte sie nach Deutschland, heiratete sie und adoptierte Wiradech. Der Asiate in der Haut des Europäers: Ich habe die deutsche Erziehung voll mitgenommen, habe auch keine thailändischen Charakterzüge. So verbeuge ich mich als jüngerer auch nicht vor den älteren, wie es in Südostasien üblich ist. Wiradech fühlt sich als Deutscher, kann aber auch thailändisch, soviel jedenfalls, daß es ausreichen würde, um sich von Norden nach Süden durchzuschlagen.
Ein Jahr benötigte Erik Kothny, um seinen Adoptivsohn, der unterernährt und mit Wasserbauch in Europa ankam, aufzupäppeln. Zur Fechtkunst brachte ihn sein Sportlehrer auf dem Gymnasium. Eberhard Mehl war Florett-Dritter bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom, und dieser hatte das Talent Kothnys erkannt. Fünf deutsche Meistertitel im Jugendbereich konnte der gebürtige Thailänder verbuchen, zu Ostern in Ungarn die Junioren-WM im Säbel für sich entscheiden. Derzeit führt er die deutsche Rangliste der allgemeinen Klasse an. EM-Gold ist der vorläufige Höhepunkt seiner Karriere.
Andere herausragende und bedeutungsvolle Momente sollen folgen. Die Fachholschulreife auf dem Gymnasium (12. Klasse) erlangt, läßt sich Kothny nun für ein Jahr beurlauben, in dem er den Zivildienst absolviert. Doch für das Fechttraining in Hinblick auf Weltmeisterschaft und Olympische Spiele wird er freigestellt. De facto ist der Kämpfer in den nächsten zwölf Monaten nur in Sachen Säbelfechten unterwegs. Nach Sydney mache ich dann das Abitur erklärt Wiradech, der nichtsdestotrotz ab sofort in den schwächeren Fächern (Biologie und Mathematik) Nachhilfeunterricht bekommen wird.
In Bozen bewies er, allemal bis 15 zählen und fechten zu können. Mein Triumph zeigt auf, daß in Deutschland auch bei den Säbelfechtern sehr gute Nachwuchsarbeit geleistet wird sagt er über seine Disziplin sinnierend. Die Jugend kommt, man merkt es. Wer es nicht bemerkt haben sollte, der möge sich bei Luigi Tarantino - immerhin schon 26 Jahre alt - informieren.
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