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Große Erwartungen wären falsch
Die 18-jährige Koblenzerin Sabine Thieltges
sucht vor ihrem bislang wichtigsten Wettkampf Ablenkung

Bericht von Dirk Kurz in der Rhein-Zeitung, 03.11.1999

Ab und an beschleicht Sabine Thieltges so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Ist das nicht alles ein bisschen viel auf einmal, fragt sich die 18-jährige Fechterin aus Koblenz dann. Junioren-Weltmeisterschaft, Europameisterschaft und nun die WM in Südkorea, alles in einem Jahr.

„Wenn ich die anderen erzählen höre, wie lange sie um einen Platz in der Nationalmannschaft kämpfen mussten, wie viele Jahre...”, sagt Thieltges ohne den Satz vollenden zu müssen. Sie ist, ohne Frage, mehr als nur ein wenig beeindruckt von dem, was in den letzten zwölf Monaten
auf sie hereingeprasselt ist. Seit sie vom Florett zum Sä-
bel wechselte und sogleich die Gunst der neuen Disziplin im Frauenfechten nutzte.

Das Welt-Championat in Seoul, für das sie sich als Vierte der deutschen Rangliste qualifizierte, ist da natürlich das Tüpfelchen auf dem i. In vielerlei Hinsicht. Ihr erster Trip nach Asien ist nicht zu verglei-
chen mit den Weltcups in Europa, bei denen man anreist, ficht, abreist. Inklusive Nationalmannschafts-
lehrgang vor Ort mit Bundestrainer Joachim Rieg ist Sabine Thieltges mittlerweile mehr als zwei Woch-
en von zuhause weg. Anders als bei den Turnieren zuvor, ist der eher kleine Kreis der 60 Säbelfech-
terinnen in Seoul auch nicht unter sich. Mahr als 50 Nationen mit annähernd 1000 Aktiven sind bei der WM vertreten, auf den Planchen in der Trainings- und Wettkampfhalle herrscht unentwegt hektische Betriebsamkeit.

Da trifft es sich gut, dass Sabine Thieltges die Dormagenerin Melanie Trosser als Zimmergenossin hat. „Wir sind ziemlich gute Freundinnen und machen in Deutschland einiges gemeinsam”, sagt die Koblen-
zerin. Auch in Seoul haben die beiden sich in den zurückliegenden Tagen meist gemeinsam zum Sight-
seeing aufgemacht, haben sich die ein oder andere Tempelanlage angesehen, sind im Olympiapark spazieren gegangen, wo sich tagtäglich Dutzende von Brautpaaren (Thieltges:„Voll witzig”) für ihre Hochzeitsfoto ablichten lassen. Stundenlang sind sie durchs „Lotte World” marschiert, einem riesigen Einkaufszentrum-Vergnügungspark, der sich unweit des Olympiazentrums über drei Straßenblöcke erstreckt. Hauptsache Ablenkung, „damit man nicht immer nur über das Fechten spricht”, sagt Sabine Thieltges.

Denn das die Koblenzerin vor ihrem ersten Vorrundengefecht am heutigen Mittwoch „tierisch nervös” ist, versteht sich beinahe von selbst. Auch wenn sie als 26. der Weltrangliste womöglich ein wenig vom Setzglück profitieren könnte - besondere Ambitionen verfolgt Sabine Thieltges bei ihrem Weltmeister-
schafts-Debüt nicht. „Ich will ganz einfach nur gut fechten und am Ende mit mir zufrieden sein können”, sagt die 18-Jährige. „Große Erwartungen zu haben, wäre sicher falsch.”

Da ihre Diszilpin derzeit noch nicht olympisch ist, entfällt für die deutschen Säbel-Frauen zudem der Druck, das Ticket nach Sydney lösen zu müssen. „Direkt nach Olympia zu dürfen”, sagt Sabine Thieltges, „wäre wohl doch des Guten zuviel.”


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