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Willi hat keine Chance, aber die will er nutzen

Meldung vom 27.07.2004, Copyright © www.kothny.de

Es ist wieder so weit: Einige thailändische Sport-Verbände rechnen vor, für wie viele Medaillen ihre Athleten gut sind: Gold und Silber für Boxer oder Tennis-Stars. Schön wäre Bronze für Schützen oder Fechter. Viele Offiziellen beten es vor und die thailändische Presse käut brav wieder. Olympia steht vor der Tür.

Es ist, wie es schon bei den Asien-Spielen war oder bei den SEA Games: Die Ernüchterung nach der tatsächlichen Medaillenausbeute ist dann groß, aber das Volk hat man schon mal in Vorfreude jubeln lassen, doch betrachtet man nüchtern die Fakten, sind Medaillen eher Wunschdenken. Hohe Erwartungen setzen zudem die Athleten unnötig unter Druck. Nur der thailändische Athletik-Verband zeigte bisher realistische Zurückhaltung. Bravo. Die Fechter sollten es auch tun.

Degenfechter Ohm wird wohl kaum eine Chance haben, gegen einen Alfredo Rota oder Marcel Fischer zu gewinnen, denn ohne einen einzigen Weltranglisten-Punkt wird er für Alfredo Rota oder Marcel Fischer leichte Beute in der ersten Runde sein. Positiv zu bewerten, dass sich der thailändische Fechtverband entschlossen hat, trotz der nahezu hoffungslosen Ausgangsposition, Ohms Trainer mit nach Athen zu schicken. Mit Somkhit Phongyoo hat man zwei Coaches den Vorzug vor einem Funktionär gegeben - ein Schritt in die richtige Richtung.

Minimal besser stehen die Chancen für Säbelfechter Wiradech Kothny. Aber: betrachtet man das Training von Willi seit seinem Übertritt vor drei Jahren, dann war der Wechsel vom deutschen zum thailändischen Fechtverband ein einziges Spießrutenlaufen durch die Reihen selbstherrlicher AFAT-Funktionäre. Erst gab es keine richtige Fechtbahn zum üben, dann stand der Athlet vor verschlossenem Kraftraum, Willi wurde von Spionen beschattet (ein hoher AFAT-Funktionär: „Wir wissen, daß er schlechte Freunde hat.”), dann wurde das vertraglich vereinbarte Geld für die Weltcups nicht bezahlt, Willis Trainer Somkhit Phongyoo diffamiert und vertragswidrig zu keinem Weltcup geschickt ...

Die Gegner in den Reihen des eigenen Verbandes machten dem Bronzemedaillengewinner von Sydney mehr zu schaffen als die Gegner auf der Planche - mit einer Ausnahme: Generalleutnant Chaisit Shinawatra. Der AFAT-Präsident hat von Anfang an zu Willi gehalten und sogar Teile des versickerten Geldes aus eigener Tasche bezahlt. Willi lohnte es mit einem 3. Platz in London einem 6. Platz in Moskau und kürzlich mit einem 5. Platz beim Grand Prix in Teheran. Damit verschaffte sich der Thai eine ähnliche Ausgangsposition, wie vor vier Jahren in Sydney, als er noch für Deutschland Bronze gewann. Dass Willi trotz aller Widrigkeiten in der aktuellen Weltrangliste an Nr. 20 steht (besser als vergleichsweise Paradorn) und als bester Asiate und Nr. 17 der qualifizierten Olympiateilnehmer nach Athen fährt, grenzt an ein Wunder und zeigt seine psychische Stabilität. Er hat jetzt schon mehr erreicht, als unter diesen Umständen zu erwarten war.

Dennoch: Sportlich fehlten Willi in Thailand Trainingspartner. Nicht ein einziger Säbelfechter ist in den Reihen der AFAT zu finden, der auch nur zum Sparring geeignet wäre. Um dieses Manko auszugleichen, hängt der Bangkok-Student für ein Semester sein Studium an den Nagel und besucht Trainingslager in Griechenland, Polen, Kuba und Italien. Hier soll er die nötige Wettkampfpraxis bekommen. Die Bangkok International University dankt es ihm, indem sie Wiradech ein Fernstudium via Internet ermöglicht und er trotz Training alle Prüfungen absolviert hat.

Wenn der junge Thai am 14. August in Athen die Planche betritt, wird ihm gleich als Erster ein ebenbürtiger Gegner gegenüberstehen: Nach jetzigen, nicht offiziellen Berechnungen, vermutlich Ivan Lee aus den USA. Dann schon der Weltranglistenerste Lukaschenko (UKR), danach, was kaum wahrscheinlich ist, Lapkes (BLR), Charikov (RUS), Pozdniakow (RUS), ... Wiradech realistische Chancen auf eine Medaille einzuräumen, ist Phantasterei.

Die Situation ist ähnlich, wie schon in Sydney vor vier Jahren: Willi ist krasser Außenseiter, hat auch in Athen nichts zu verlieren. Er soll unbeschwert fechten. Wer ihn im Vorfeld zum Medaillengewinner hochjubelt, gibt Zeugnis von seiner Ahnungslosigkeit. Es gilt vielmehr heute das selbe Motto, wie schon damals 2000 in Australien: „Willi hat keine Chance. Aber die will er nutzen.”


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